„OHNE FREUNDSCHAFTEN ZU ANDEREN ABGEORDNETEN WÄRE ES NICHT AUSZUHALTEN“
Von Paul Hoffmann
Berlin – „So jung und schon im Bundestag“ lautete im Frühjahr der Titel einer kleinen TAG24-Serie, in der wir Euch Politiker vorstellten, die es schon in jungen Jahren in Deutschlands höchstes Parlament geschafft haben. Inzwischen ist die Bundestagswahl ein Jahr her. Zeit, einmal nachzufragen, wie es unseren Jung-Politikern so ergangen ist, was sie überrascht und enttäuscht hat. Heute: Heidi Reichinnek, 34 Jahre, Linken-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Stadt Osnabrück.
TAG24: Schon ein Jahr im Deutschen Bundestag, die Zeit ging ganz schön schnell um, oder?
Heidi Reichinnek: Verdammt schnell.
TAG24: Welcher Moment der vergangenen zwölf Monate ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Reichinnek: Meine erste Rede im Bundestag, das ist schon was Besonderes.
TAG24: Was war bislang die größte Enttäuschung für Dich?
Reichinnek: Die Abschaffung von Paragraf 219a war ein großer Erfolg. Dass wir bei Paragraf 218 wieder gegen eine Mauer rennen, das frustriert mich zutiefst. Dass Ärzt:innen endlich darüber informieren dürfen, dass und wie sie Abtreibungen vornehmen, ist ein wichtiger Schritt.
Aber um flächendeckende gute und kostenlose Angebote vorzuhalten, müssen Schwangerschaftsabbrüche auf Wunsch der Schwangeren endlich raus aus dem Strafgesetzbuch. Da war man in der DDR deutlich weiter.
TAG24: Wie hat die Zeit im Bundestag Dein Privatleben vereinbart?
Reichinnek: Mein Landesvorsitz und mein kommunales Mandat vor dem Bundestag haben mich zum Glück darauf vorbereitet, nahezu keine Freizeit zu haben. Aber von der Politik kommt man einfach nie wirklich los und das ist okay. Ich nehme mir Auszeiten, wenn ich sie brauche.
TAG24: Gibt es die alten Freunde in der Heimat noch und sind im vergangenen Jahr neue Freundschaften dazugekommen? Kann man im Bundestag eigentlich Freundschaften schließen, auch zu Abgeordneten anderer Parteien?
Reichinnek: Natürlich gibt es die noch, auch wenn ich sie seltener sehe. Respekt, gute Kontakte und vielleicht auch mal Freundschaften zu Abgeordneten gibt es ebenfalls, anders wäre es auch nicht auszuhalten.
TAG24: Verbunden mit der Tätigkeit im Bundestag ist auch eine durchaus stattliche Bezahlung. Wie hat sich das Leben mit Blick aufs Monetäre verändert?
Reichinnek: Natürlich hat eine Abgeordnete mehr Geld als eine pädagogische Mitarbeiterin, von daher stehe ich finanziell gerade deutlich besser da als vorher.
TAG24: Erfährst Du viel Neid, was das Monetäre angeht?
Reichinnek: Das kommt vor, aber eher selten. Vor allem wissen viele nicht, dass wir natürlich Steuern zahlen, dass wir in der Linken sehr hohe Mandatsträger:innenabgaben haben oder monatlich Geld in einen Verein der Bundestagsfraktion einzahlen, bei dem Vereine Anträge stellen können, um zum Beispiel Unterstützung für soziale Projekte zu bekommen.
TAG24: Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise macht einen normalen Parlamentsalltag nahezu unmöglich. Kannst Du Deine Projekte überhaupt noch anbringen oder gehen die alle unter?
Reichinnek: Ich brenne für meine Politikbereiche und Gehör verschaffe ich mir in jeder Situation. Der Krieg in der Ukraine wirkt sich genauso wie die Energiekrise auf die Menschen aus, für die ich hier bin.
TAG24: Welches Thema würdest Du sofort angehen, wenn Du könntest?
Reichinnek: Ich würde sofort eine Kindergrundsicherung einführen, die sich wirklich an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientiert. Dafür haben wir als Linksfraktion auch schon ein Konzept vorgelegt.
TAG24: Ist Berlin für Dich ausschließlich ein Ort zum Arbeiten oder gibt es Plätze, an denen Du Dich inzwischen „zu Hause“ fühlst?
Reichinnek: Für mich ist das ein Arbeitsort, aber sowohl bei meinen Mitarbeitenden im Büro als auch bei den – viel zu seltenen – Treffen mit meiner besten Freundin, die hier wohnt, fühle ich mich trotzdem zu Hause.
TAG24: Du wolltest Linken-Chefin werden, bist mit 35,8 Prozent Zweite hinter Janine Wissler geworden. War die Kandidatur eigentlich eine spontane Entscheidung und würdest Du wieder antreten?
Reichinnek: Ja und ja.
Was Heidi Reichinnek in ihrem ersten Gespräch mit TAG24 gesagt hat, könnt Ihr natürlich noch einmal nachlesen.