„Linke nicht so schlimm, wie das gerade wirkt“

Die 34-jährige Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek will Chefin der Linken werden. Was ist ihr Plan, um die Partei aus der schweren Krise zu führen? Heidi Reichinnek wurde 2019 in Niedersachsen zur jüngsten Landesvorsitzenden der Linkspartei, 2021 zog sie in den Bundestag ein und wurde sofort in den Fraktionsvorstand gewählt. Jetzt will die 34-Jährige Parteichefin werden. Heidi Reichinnek traut sich viel zu – aber reicht das, um eine Partei am Abgrund zu führen? Wir haben sie zum Interview getroffen.

 

ZDFheute: Wann und warum haben Sie sich entschieden zu kandidieren?

Heidi Reichinnek: Ich habe mich relativ spontan entschieden, weil ich gesagt habe: Wenn wir eine Erneuerung wollen, dann braucht es eben auch neue Köpfe. Das muss dann auch einfach nach außen ausgestrahlt werden. Und deswegen habe ich gedacht: Okay, wenn Janine Wissler wieder kandidiert, dann möchte ich, dass der Parteitag eine andere Wahl hat und sich entscheiden kann. Und deswegen bin ich jetzt hier.

ZDFheute: Es gibt seit heute den „Aufruf für eine populäre Linke“ einer Gruppe um Sahra Wagenknecht. Sie fordern die Neuausrichtung der Partei – weg von der sogenannten „Lifestyle-Linken“, könnte man sagen. Wie stehen Sie zu dem Aufruf?

Reichinnek: Ich finde es grundsätzlich gut, wenn sich Genoss*innen in die Debatte einbringen. Da gab es ja schon vorher zwei Aufrufe, an die ich mich erinnern kann. Und ich denke, man kann da Ideen mitnehmen. Was mir sehr gut gefallen hat, war die Ansprache von Nichtwähler*innen. Aber ich stehe nicht unter dem Aufruf. Ich möchte eine Vorsitzende für alle sein und würde die Anregungen, die da in dem Aufruf stehen, gerne mitnehmen.

ZDFheute: Sie gendern. Das wäre jetzt nach Definition von Sahra Wagenknecht also „woke“ und erreicht die Menschen nicht. Wie sehen Sie das?

Reichinnek: Ich weiß nicht, ob das Sahra Wagenknecht so sieht. Dann müssten Sie sie vielleicht noch einmal selber fragen. Aber für mich persönlich ist das Gendern mittlerweile gang und gäbe, und ich finde, das kann jede Person so machen, wie sie das möchte. Und mir ist das einfach sehr wichtig, dass ich alle Menschen anspreche. Ich glaube, für manche Menschen macht es einfach einen großen positiven Unterschied. Und allen anderen schadet das nicht. Deswegen verstehe ich die Diskussion ehrlicherweise nicht.

ZDFheute: Viel benanntes Problem Ihrer Partei ist die Vielstimmigkeit – zu der allerdings auch Sahra Wagenknecht selbst aktiv beiträgt. Sind Sie auch manchmal sauer auf Wagenknecht?

Reichinnek: Ich bin frustriert, dass es diese Vielstimmigkeit gibt. Aber ich weiß auch, dass es ein Problem ist, dass Menschen eben nicht mehr miteinander reden, dass Leute ausgegrenzt werden. Genau das möchte ich gerne mit meiner Kandidatur überwinden. Wir brauchen alle unsere Mitglieder. Wir können nicht irgendwelche Gruppen ausschließen.

ZDFheute: Es gibt jetzt den Vorwurf des strukturellen Sexismus in Ihrer Partei. Haben Sie Sexismus selbst erlebt?

Reichinnek: Bei mir hält sich das zum Glück sehr in Grenzen. Natürlich gibt es mal den einen oder anderen Spruch. Da ist natürlich immer eine Frage: Wer nimmt was wie auf? Und was ist wie gemeint? Das muss man dann klären, aber mich persönlich hat es bisher zum Glück noch nicht so sehr betroffen. Ich kenne aber Genoss*innen, bei denen es so war.

Und selbst wenn die Vorwürfe vielleicht nicht bekannt geworden sind – dass Sexismus und wohl auch sexuelle Übergriffe stattfinden, das ist so, und da müssen wir natürlich gegen vorgehen.

In meinen Augen brauchen wir zwei Säulen. Wir brauchen eine veränderte Kultur in der Partei. Das heißt, dass Betroffene sich trauen, offen zu sprechen und wissen, dass da Leute sind, die ihnen zuhören, die ihnen helfen. Und wir brauchen natürlich auch Strukturen, vor allen Dingen auch externe Strukturen, an die man sich wenden kann.

ZDFheute: Sie sind Vorsitzende des Landesverbands von Diether Dehm, dem ehemaligen Abgeordneten, dem auch Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird. Es gibt jetzt den Vorwurf, Sie seien eine Diether-Dehm-Vertraute. Was sagen Sie zu dem Vorwurf – und wie stehen Sie zu Diether Dehm?

Reichinnek: Also ich bin vor allem Co-Vorsitzende eines Landesverbandes von über 3.000 Genoss*innen. Einer davon ist Diether Dehm. Seitdem ich in dieser Partei bin, seitdem ich auf Landesebene aktiv bin, bekomme ich diesen Vorwurf zu hören. Das ist nichts Neues. Und ich finde es extrem frustrierend und eigentlich auch bezeichnend, dass einer eher jungen Frau, die ich ja noch bin, nicht zugetraut wird, eigene Entscheidungen zu treffen, sondern dass da immer ein Mann im Hintergrund die Strippen ziehen muss. Mehr will ich dazu nicht sagen.

ZDFheute: Sie werden ja sicher auch Signale aus Fraktion und Partei bekommen haben, als Sie über Ihre Kandidatur nachgedacht haben. Es heißt auch, die Fraktionsspitze unterstützt Sie. Stimmt das?

Reichinnek: Man müsste die Fraktionsspitze fragen, inwiefern sie mich unterstützt. Aber das ist sozusagen das Gleiche: Irgendjemand ist im Hintergrund und plant das und schickt jemanden nach vorne. Ich würde davon ganz gerne wegkommen.

ZDFheute: Und wie nehmen Sie den Wahlkampf jetzt wahr?

Reichinnek: Gerade ist er in meinen Augen an vielen Stellen leider entpolitisiert. Ich sehe wenig konkrete Kritik an manchen Stellen und viele Versuche, persönlich zu werden. Das müssen die Leute für sich entscheiden, ob das die richtige Art und Weise ist, miteinander umzugehen. Ich denke, sie ist es nicht.

ZDFheute: Da stellt sich natürlich die Frage: Warum tun Sie sich das an?

Reichinnek: Weil es sich lohnt, für meine Partei zu kämpfen.

Meine Partei ist nicht so schlimm, wie das gerade wirkt.

Wir haben Tausende Mitglieder in der Fläche, die Tag für Tag ihr Gesicht hinhalten für die Linke. Und ja, das sieht gerade sehr zerstritten aus, weil es einige laute Stimmen gibt. Aber das ist nicht die Linke.

Die Linke ist eine Partei, der es um Solidarität geht und um soziale Gerechtigkeit und die das an vielen Stellen auch wirklich praktisch lebt.

Und deswegen mache ich das, auch wenn es manchmal nicht einfach ist: für die ganzen Leute, die jetzt auch selbst Mitglied sind, den Kopf schütteln, weil sie es nicht verstehen, die einfach sagen, wir brauchen da was Neues – und das möchte ich versuchen zu sein.

Das Interview führte Andrea Maurer, Redakteurin im ZDF-Hauptstadtstudio

Datum: 26.06.2022
Sender: ZDF
Anlass: Bundesparteitagskandidatur